Zwei Rennen in einem
©Cordon Press/Miguel/Imago Nach wenigen Runden machte der Unterarm zu: Auch sein Körper hinderte Marcel Schrötter bislang am ersehnten Aufstieg in die MotoGP
Marcel Schrötter ist der einzige deutsche Stammfahrer in der WM. Für den Standort Deutschland ist das ein Problem, für Schrötter eine Chance.
Die Wahrheit liegt für einen Rennfahrer meist in Bruchteilen von Sekunden. Es sind die Zehntel, nach denen er sein Leben ausrichtet. Kompliziert wird es, wenn man als Motorsportler auf die größeren Zusammenhänge schauen muss. Wenn man um Sekunden fährt und zugleich die Jahre drängen.
Marcel Schrötter fährt gerade zwei Rennen in einem – gegen den Sekundenzeiger und gegen die Jahre.
„Ich bin 27, meine Karriere ist an einem entscheidenden Punkt, ich will nach oben, und dazu muss ich Rennen gewinnen“, sagt Schrötter. Und da kommt die Sache mit den Jahren ins Spiel: „Ich bin nicht mehr der Jüngste“. Der Pilot aus der oberbayerischen Gemeinde Vilgertshofen zwischen Lech und Ammersee ist noch in einem guten Sportleralter, ahnt aber, dass seine Karriere gerade in die entscheidende Kurve einbiegt. Seit 2013 fährt er in der Moto2, das Zeitfenster für einen Aufstieg ist klein, „ich bin schon eher an der oberen Grenze, um aufzusteigen“, sagt Schrötter. Das Ziel ist die MotoGP, die Königsklasse des Motorradsports, wo erst einmal einem deutscher Fahrer ein Sieg gelang: Edmund Czihaks, 1974 auf der Nordschleife.
Schrötter muss bald eines der Teams davon überzeugen, ihm eine Maschine anzuvertrauen, denn sein Rennen ist auch eines gegen die Jugend: „Es werden Fahrer nachkommen, die mit 23, 24 aufs Podium fahren, und dann werden die eher in Betracht gezogen als ich.“ Für die kommende Saison sind die meisten Plätze bereits anderen versprochen, „jetzt ist eh schon wieder alles zu“, sagt Schrötter. Aber für 2022 ist nun der entscheidende Moment, um mit Podiumsplätzen und Siegen auf sich aufmerksam zu machen.
Sein Alleinstellungsmerkmal, als einziger deutscher Stammfahrer in den höchsten drei Grand-Prix-Klassen, könnte dabei den Ausschlag geben. Das zumindest hofft er: „Dass sonst kein Deutscher da ist, könnte helfen“, sagt Schrötter. Deutschland ist immer noch ein wichtiger Markt, der Ausrichter Dorna dürfte Interesse an einem deutschen Fahrer im Feld haben. Das ist die eine Seite, die andere: „Der Druck ist enorm groß. Ganz Deutschland schaut auf Marcel. Er muss lockerer werden“, sagte vor Kurzem Stefan Bradl, der zumindest am Wochenende die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Als Ersatzfahrer für den verletzten Weltmeister Marc Marquez wird er dort antreten, wo Schrötter hin will: in der MotoGP.
Aber Schrötters Leistungen stagnieren auf ordentlichen Niveau, das ist das Problem. Zuletzt schloss er das Gesamtklassement zweimal auf Rang acht ab. Mehr scheint im Moment nicht drin zu sein; auch, weil sein Körper ihn hemmt. Seit vielen Jahren quält ihn der rechte Unterarm, der nach wenigen Runden „zumacht“, wie Schrötter sagt, „unheimliche Kräfte“ müsse der aushalten, wenn die Bremse zupackt. „Ich kann nicht 100 Prozent fahren, Rennen gewinne ich so nicht“, sagt Schrötter. Deshalb entschloss man sich beim IntactGP-Team nach dem Rennen in Jerez spontan zu einem Eingriff: Schrötter ließ sich die Faszien im Unterarm aufschneiden, die um den Muskel liegen, um Platz für ihn zu schaffen: „Ich hoffe, dass das Leid damit vorbei ist.“
Es gibt aber auch Dinge, die kann Schrötter nicht rausschneiden aus sich. Der Sturz von Jerez beim Neustart nach der Corona-Pause „ist in mir drin geblieben“, sagt er, „vom Kopf her war ich nicht mehr frei“. Eine Woche später fuhr er auf der gleichen Strecke gehemmt auf Platz zehn. Zu wenig für seine Ziele.
Es mag im Moment ein Vorteil für Schrötter sein, als Einzelkämpfer unterwegs zu sein. Für den Motorrad-Standort Deutschland aber findet er das „enttäuschend“. Für ihn ein weiterer Beleg, dass die Nachwuchsförderung brach liegt.
Es ist ein Teufelskreis: Wenige deutsche Fahrer, wenig Aufmerksamkeit für den Sport, was wieder weniger Nachwuchs anzieht. Talente erkennen und fördern, da gibt es in Deutschland große Versäumnisse, sagt Schrötter, der das so zusammenfasst: „Wenn du Talent hast, aber kein Geld, dann hast du verloren.“ Denn der Einstieg in den Motorsport kostet viel. „Dann kommt einer, der einen reichen Papa hat, legt 30 000 Euro auf den Tisch und dann fährt der, egal ob er besser ist als du oder nicht. Da läuft etwas mit der Förderung schief.“
Schrötter hatte Glück und Toni Mang um sich, den fünfmaligen Weltmeister und begnadeten Tüftler, der ihm viele Türen öffnen konnte, „sonst wäre mein Weg nicht so weit gegangen“. Denn: „Unterstützung gab es auch für mich nicht“, obwohl Schrötter früh Titel gewann, zweimal Internationaler Deutscher Meister und 2009 Europameister wurde, spürte er nicht den Rückhalt der Verbände. Vielleicht auch deshalb übernahm der Moto2-Pilot die Patenschaft für den 13-jährigen Luca Göttlicher aus dem Nachbardorf Schwifting. Schrötter steht ihm bei, wie einst Toni Mang ihm selbst. „Langsam wird es ernst, man wird bald sehen, wie gut er wirklich ist und ob er sich durchsetzen kann“, sagt Schrötter. Das mag auch für ihn selbst gelten.